Ob als Antwort auf den Fachkräftemangel, als Beitrag zur Mitarbeiterbindung oder schlicht und einfach, um den Anschluss an den technischen Fortschritt nicht zu verlieren: Die Weiterbildung der eigenen Mitarbeitenden gilt heute auch für KMU als unerlässlich. Aber welche Weiterbildung eignet sich für welches KMU, und lohnen sich die Investitionen tatsächlich? Wir haben bei drei Institutionen nachgefragt.
Bernhard Grämiger: Weiterbildung ist für KMU vor dem Hintergrund des technologischen Wandels, des Fachkräftemangels und der Alterung der Gesellschaft ein entscheidender Wettbewerbsfaktor. Entscheidungsträger in KMU sollten sich deshalb überlegen, wie sie Weiterbildung gezielt und strategisch einsetzen können.
Lisa Marie Benz: Wir sehen das Thema «Weiterbildung» auch bei den KMU als sehr wichtig an: Zum einen ist der Arbeitsmarkt extrem «leergefegt», sodass es für die Unternehmen immer wichtiger wird, die benötigten Fachkräfte selbst aus- und weiterzubilden – das gilt immer mehr auch für KMU. Zum anderen ist durch die Pandemie das Bedürfnis nach Führungs-Know-how, nach einem geeigneten Umgang mit Unsicherheit und nach guten Instrumenten stark gestiegen. Hier spielen Trends wie die Digitalisierung noch eine zusätzliche Rolle: Die Veränderungen wollen zum einen technisch umgesetzt werden; zum anderen brauche ich aber auch das notwendige Wissen, um Veränderungsprozesse im Unternehmen auch gut begleiten und anleiten zu können. Hier ist zum Beispiel auch Weiterbildung für Führungspersonen gefragt.
Jörg Krissler: Früher galt es als Wettbewerbsvorteil, heute ist es schon fast zwingend, als KMU in die Bildung der Mitarbeitenden zu investieren. Das können klassische Fach- oder Methodenausbildungen sein, die in erster Linie der Berufsausübung dienen, aber auch Themen, die eher als Incentive wahrgenommen werden und die Mitarbeitendenbindung fördern können. Gleichwohl sehe ich als Organisationsentwickler parallel dazu die zwingende Notwendigkeit, in die Führungskräfte zu investieren. Nur wenn sich Mitarbeitende von ihren Chefs anerkannt und geschätzt fühlen, werden sie bereit sein, ihre Fachkompetenz zugunsten des Unternehmenserfolgs einzusetzen.
Bernhard Grämiger: Studien zeigen, dass die Weiterbildung am Arbeitsplatz in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Unsere letzte Studie hat gezeigt, dass auf Grund der Coronapandemie 26 Prozent der befragten KMU ihre Weiterbildungsaktivität erhöht haben. Bei 58 Prozent hat sich die Weiterbildungsaktivität nicht verändert, bei 14 Prozent ist sie gesunken. Wir können also eine leichte Tendenz zu höheren Weiterbildungsinvestitionen feststellen.
Lisa Marie Benz: Wir nehmen zunehmend wahr, dass auch kleinere KMU sich sehr strukturiert dem Thema annähern und ihre Mitarbeitenden gezielt und langfristig weiterbilden. Das kann zum Beispiel eine Führungsausbildung sein, die jeder Mitarbeitende ab einer bestimmten Führungsebene durchläuft. Das sind zum Teil aber auch gezielte interne Schulungen und Begleitangebote für Mitarbeitende und Führungskräfte, um sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen – und sicherlich auch, um sie längerfristig ans Unternehmen zu binden.
Jörg Krissler: Ich erkenne einerseits den Trend, dass sich Menschen vermehrt eigenverantwortlich weiterbilden. Gleichzeitig sehe ich eine leise Entwicklung von reinen Verhaltensschulungen zur Arbeit an der Haltung. Das freut mich, weil das auch meinen Ansatz repräsentiert. Die achtsame, werteorientierte Führung erachte ich als besonders wirkungsvoll und wirtschaftlich äusserst sinnvoll. Menschen leisten unter derartigen Umständen gerne und gut.
Bernhard Grämiger: Aufgrund der Pandemie brauchen die Mitarbeitenden neue oder andere Kompetenzen. Dadurch ist der Weiterbildungsbedarf in vielen KMU deutlich gestiegen. Die Pandemie hat sich insbesondere auf Kompetenzen für agiles Arbeiten, soziale und kommunikative Kompetenzen sowie die digitalen Kompetenzen ausgewirkt. Zuoberst auf der Liste steht bei den meisten KMU die Förderung der Fachkompetenzen der Mitarbeitenden. Gerade die Pandemie hat aber gezeigt, dass die überfachlichen Kompetenzen wie etwa die Sozialkompetenzen immer stärker an Bedeutung gewinnen. Die Mitarbeitenden müssen deutlich vernetzter arbeiten und mehr kommunizieren als früher.
Lisa Marie Benz: Zum einen wird es immer wichtiger, gute Mitarbeitende in ihrer Entwicklung zu unterstützen und so langfristig im Unternehmen zu halten. Das hat sicherlich auch mit der Situation auf dem Arbeitsmarkt zu tun. Wir sehen aber auch, dass gerade das Thema «Führung» einen anderen Stellenwert bekommen hat: Führung wird immer komplexer, daher brauche ich auch fachliches Know-how und einen gezielten Aufbau von Führungskompetenzen, um diese Aufgaben gut bewältigen zu können.
Jörg Krissler: Die unternehmerischen Rahmenbedingungen sind anspruchsvoll und ändern sich laufend. Das macht es für Mitarbeitende aller Stufen schwierig, sich zurechtzufinden. Wenn sich nun ein Team mit seinen Werten auseinandersetzt und diese mit ihren Firmenwerten abstimmt, dann kann sich im Zweifelsfall jede und jeder daran mit der Frage orientieren: «Würde ich mich mit meiner Entscheidung diesen Werten eher annähern oder entfernen?»
Bernhard Grämiger: Der Arbeitsmarkt wandelt sich ständig. Die Beschäftigten müssen sich immer wieder an eine neue Arbeitsumwelt gewöhnen. Das erfordert von den Arbeitnehmenden viel Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Neben Fachkompetenzen werden also auch sogenannte transversale Kompetenzen wichtiger, also zum Beispiel Problemlösungsfähigkeit, strategisches und innovatives Denken oder die Fähigkeit zur Teamarbeit.
Lisa Marie Benz: Durch die zunehmend komplexer werdende Führungsarbeit reicht Fachkompetenz allein heutzutage nicht mehr aus. Führungskompetenz zu erlernen, zielt in erster Linie auf die Stärkung von Selbstkompetenz und Methodenkompetenz ab. Es geht darum, einen Wissenskoffer zu packen, der es mir erlaubt, in unterschiedlichsten Situationen auf zielführende Lösungsansätze zurückzugreifen. Die Grundlage dafür legt die kritische und gleichzeitig wohlwollende Reflexion des eigenen Verhaltens.
Jörg Krissler: Besonders erfolgreich werden meines Erachtens diejenigen Firmen sein, die ihre Mitarbeitenden auch in übergeordnete Fragen einbinden, ihnen zu- und vertrauen. Das wird zwar den einen oder anderen Prozess entschleunigen, dafür werden Veränderungen substanziell gehaltvoller und nachhaltiger.
Bernhard Grämiger: Wichtig ist nicht, ob die Weiterbildung intern oder extern stattfindet. Entscheidend ist, dass sie optimal auf den Bedarf des KMU abgestimmt ist. Auch einfache interne Formate wie der regelmässige Austausch in Fachgruppen können einen hohen Nutzen bringen. Externe Weiterbildungen sind unter anderem dann sinnvoll, wenn Fachexpertise gefragt ist.
Lisa Marie Benz: Beides ist wichtig, und letztendlich kommt es immer auf die konkrete Fragestellung an. Wir erleben, dass Teilnehmende in unseren öffentlichen Formaten stark vom Austausch mit anderen Teilnehmenden profitieren. Es wird als bereichernd empfunden, Lösungswege aus ganz anderen Branchen zu sehen oder mit Führungspersönlichkeiten zu diskutieren, die einen völlig anderen Blickwinkel haben. Interne Weiterbildungen dagegen geben einem Unternehmen die Möglichkeit, bestimmte Themen in der Organisation zu vertiefen, Mitarbeitende aus unterschiedlichen Bereichen oder Standorten miteinander zu vernetzen und so ein gemeinsames Verständnis zu etablieren. Idealerweise kann ich beide Möglichkeiten verbinden und aufeinander aufbauen.
Jörg Krissler: Primär stellt sich die Frage nach der Herausforderung, die durch die entsprechende Massnahme gelöst werden soll. Bei der Entwicklung von Fachkompetenzen sind die internen Spezialisten bestimmt am besten qualifiziert. Daher eignet sich hier die interne Weiterbildung «on the job» am ehesten. Wenn es jedoch um strategische Fragen, Changeprozesse oder um Spannungsfelder geht, die bearbeitet werden sollen, erachte ich sowohl die personelle wie auch die räumliche Distanz für die Firma als Vorteil.
Bernhard Grämiger: Es ist wichtig, dass KMU ihre Bedürfnisse kennen und zukünftigen Weiterbildungsbedarf frühzeitig antizipieren. So können Weiterbildungen zielgerichtet und früh genug umgesetzt werden – ohne dass Kompetenzlücken bei der Belegschaft entstehen. Wir empfehlen KMU, mindestens einmal jährlich mit allen Mitarbeitenden eine Standortbestimmung zu machen. Im Rahmen dieses Gesprächs sollte der Weiterbildungsbedarf aus Sicht der Mitarbeitenden sowie aus Sicht des Unternehmens thematisiert werden. Für Arbeitnehmende sind Weiterbildungen wichtig, um langfristig berufliche Nachteile zu vermeiden und die eigene Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten und zu stärken.
Lisa Marie Benz: Das hängt stark vom jeweiligen Unternehmen, von der jeweiligen Person sowie der Zielsetzung ab. Wichtig ist aus unserer Sicht, die Zielsetzung klar zu definieren – und sich dann gut beraten zu lassen, welche Möglichkeiten der Weiterbildung es dafür gibt.
Jörg Krissler: Diese Frage kann vermutlich jedes KMU am besten für sich beantworten. Daher empfehle ich den Verantwortlichen, ihre Situation regelmässig mit einer externen Vertrauensperson zu spiegeln und sich dann situativ für eine Lösung zu entscheiden.
Bernhard Grämiger ist Direktor des Schweizerischen Verbands für Weiterbildung SVEB. Als nationaler Dachverband engagiert sich der SVEB seit 1951 für die Interessen der Weiterbildung in der Schweiz und zählt über 700 Mitglieder, darunter private und staatliche Anbieter, Verbände, innerbetriebliche Weiterbildungsabteilungen sowie Einzelpersonen. Der SVEB vertritt ihre Anliegen auf politischer, gesellschaftlicher und fachlicher Ebene in allen drei Sprachregionen.
Lisa Marie Benz ist Leiterin des Bereichs Weiterbildung am Schweizerischen Institut für KMU und Unternehmertum der Universität St. Gallen. KMU, Unternehmertum und Familienunternehmen sind die drei thematischen Säulen des Instituts. Neben einer relevanten und fundierten Forschung zu den Themenschwerpunkten hat das KMU-HSG ein grosses Angebot an Weiterbildung für Unternehmen und Führungskräfte aus KMU.
Jörg Krissler ist seit 2011 als selbständiger Coach und Organisationsentwickler tätig und arbeitet mit Unternehmern verschiedener Branchen rund um Führungsfragen. Sein 2019 im hep-Verlag erschienenes Buch «Achtsam führen – eine Orientierungshilfe im Unternehmensalltag» richtet sich an Führungsverantwortliche und zeigt auf, wie sich durch einen achtsamen Umgang mit sich selbst, mit Mitarbeitenden und diversen Erwartungen eine konstruktive, dem Unternehmenszweck dienliche Zusammenarbeit erzielen lässt.