Sie interessieren sich nur für Gaming und Ausgang, früh aufstehen und hart arbeiten stehen nicht auf der Tagesordnung. Die Jugendlichen von heute sind verwöhnt und mit sich selbst beschäftigt, so das Klischee. Aber wie klappt es trotzdem mit den Lernenden? Wir haben nachgefragt.
Der Fachkräftemangel ist akut wie nie, die Arbeitslosenquote lag zuletzt vor zwanzig Jahren so tief. Für viele Branchen wird das zunehmend zu einem ernsthaften Problem, überall fehlt es an Personal. Umso wichtiger scheint es, den Nachwuchs im eigenen Betrieb zu fördern und die Fachkräfte von morgen aufzubauen. Wie aktuelle Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) aber zeigen, schaffen bei weitem nicht alle Lernenden den Abschluss: 5889 Jugendliche fielen 2021 durch die Prüfung – das sind 8,2 Prozent. In vielen Handwerksberufen liegt die Quote gar bei 20 Prozent und mehr; den Spitzenplatz belegten die Lüftungsanlagebauer mit 42 Prozent. Doch woran liegt das?
Die Branchenverbände und Medien sehen den Fehler bei den Lernenden selbst: Die heutigen Jugendlichen seien unmotiviert und lernfaul, es mangle ihnen an Pflichtbewusstsein und Disziplin. Völliger Blödsinn, meint hingegen Patrizia Hasler. Die Rektorin der Technischen Berufsschule Zürich hat zum Thema Lehrvertragsauflösungen im Bauhauptgewerbe eine nationale Studie durchgeführt und sich dabei intensiv mit den Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Potenzialentfaltung von Lernenden auseinandergesetzt. Sie sagt: «Würden Jugendliche umsichtig gefördert, könnten die meisten ihre Lehre erfolgreich abschliessen.» Insbesondere in gewerblich-industriellen Berufen würden Auszubildende jedoch häufig als günstige Arbeitskräfte genutzt, anstatt sie seriös auf ihren Abschluss vorzubereiten. Dabei sei es gerade in dieser Branche zentral, den Nachwuchs zu fördern. «Durch den vorherrschenden Fachkräftemangel und die zunehmende Akademisierung wird es immer wichtiger, dass wir in handwerklichen Berufen solide Facharbeiter ausbilden, welche die Arbeiten auf einem qualitativ hohen Schweizer Standard ausführen», so die Expertin. Sie rät jedem Unternehmen, sich im Vorfeld gründlich zu überlegen, ob die nötigen Ressourcen und Fähigkeiten für die Ausbildung von Lernenden im Betrieb vorhanden sind. «Lernende auszubilden, ist insbesondere am Anfang der Lehre zeitintensiv und anstrengend, dessen muss man sich bewusst sein.»
Simon Hugi, Geschäftsführer und Verantwortlicher Berufsbildung der Kuster Gärten aus Mühleberg, ist sich dessen sehr bewusst. Der Gartenbaubetrieb bildet jedes Jahr zwischen sechs und acht Lernende aus – mit Erfolg. Seit März 2021 ist Kuster Gärten einer der bisher lediglich zehn Betriebe schweizweit, die das Zertifikat «TOP-Ausbildungsbetrieb Stufe 3» erhalten haben. Mit diesem Zertifikat werden Betriebe ausgezeichnet, die sich mit besonders intensivem Engagement und hoher Qualität für die Ausbildung von Jugendlichen einsetzen. Was ist also das Geheimnis der Kuster Gärten? «Wir ziehen die Lernenden nicht einfach im Tagesgeschäft mit, sondern stellen sie in den Vordergrund unseres Tuns, und zwar im gesamten Team, nicht nur in der Führungsetage.» Dazu gehört beispielsweise, dass die Lernenden nicht nur in der Gartenpflege aktiv sind, sondern auch in grössere Projekte eingebunden werden, um ihr Spektrum zu erweitern. Kleine Motivationsspritzen gehören ebenfalls dazu, sagt Hugi: «Wir lassen die Lernenden recht schnell kleinere Maschinen lenken. Das ist zwar für uns am Anfang nicht sonderlich effizient, für sie aber mit einem Erfolgserlebnis verbunden», lacht der gelernte Gartenbautechniker.
Darüber hinaus versucht das Team der Kuster Gärten, ein familiäres Umfeld zu schaffen, in dem sich die Lernenden wohl fühlen. So wird das Mittagessen immer mit allen gemeinsam eingenommen, zudem herrscht im ganzen Betrieb eine Du-Kultur. «Das ist am Anfang ungewohnt für die Jugendlichen, schafft aber schnell Nähe», sagt Simon Hugi. Ein wichtiger Punkt, wie auch Patrizia Hasler sagt: «Der bewusste Aufbau eines Vertrauensverhältnisses am Anfang der Lehre ist elementar, damit sich die Lernenden bei Problemen oder Fragen ihren Bezugspersonen gegenüber anvertrauen.» Generell sei wichtig, dass Lernende Spass an der Arbeit hätten, glaubt Hugi. Doch am allerwichtigsten für die Motivation sei, dass sie sich für den Beruf entscheiden, den sie auch wirklich ausüben wollen. «Jugendliche müssen sich mitten in einer besonders schwierigen Lebensphase für einen Beruf entscheiden, das ist eine grosse Herausforderung», sagt der Unternehmer. Das bestätigt auch Patrizia Hasler: «Der Druck auf Jugendliche, schnell einen Ausbildungsplatz zu finden, ist sehr gross. Viele bekommen von früh auf mit auf den Weg, dass in der Schweiz eine Berufsausbildung das A und O für eine finanziell gesicherte Zukunft ist. Sie suchen deshalb verzweifelt nach einer Lehrstelle, ohne sich vorher richtig über den Beruf zu informieren oder zu wissen, was auf sie zukommt.» Diese Erfahrung hat auch Simon Hugi gemacht. Er lässt Lehrstellenanwärter deshalb immer erst einige Tage im Betrieb schnuppern; die Interessierten dürfen dann in einer zusätzlichen Runde eine Woche probehalber mitarbeiten. «Man merkt schnell, wer für den Beruf brennt.» Den Unsicheren rät er, noch weitere Berufe kennenzulernen und sich erst dann für einen Ausbildungsplatz zu entscheiden. Kehren sie dann zurück, weiss er, dass sie sich bewusst für diese Stelle entschieden haben – und dadurch auch motivierter sind.
Motivierte Jugendliche findet man auch in Ebikon bei der Flüma Klima AG. Die Firma beschäftigt aktuell drei Lernende, zwei der drei machen eine Ausbildung zum Lüftungsanlagebauer – just die Lehre also, bei der überdurchschnittlich viele Lernende durch die Prüfung rasseln. Gerade deshalb ist der Nachwuchs für den Betrieb sehr wichtig. «In unserer Branche ist der Fachkräftemangel sehr massiv, wir haben immer wieder Probleme, offene Stellen zu besetzen. Für uns ist die Ausbildung junger Anlagebauer deshalb auch eine Investition in die Zukunft», sagt Emanuele De Caro, Leiter Erhaltung und verantwortlicher Ausbildner. Als Ausbildungsbetrieb übernehme man eine grosse Verantwortung, sagt er: «Für Jugendliche ist die Zeit zwischen 14 und 18 Jahren sehr herausfordernd. Sie werden aus der Schule in die Berufswelt hinausgeschubst und müssen erst lernen zu schwimmen. Es ist nicht einfach für Jugendliche, sich in dieser neuen Situation zurechtzufinden.» Es reiche deshalb nicht, einfach zu überprüfen, ob die Lernenden am Morgen rechtzeitig erscheinen. «Viele haben persönliche oder familiäre Herausforderungen; auf die gilt es genauso einzugehen wie auf fachliche Probleme.»
Das bestätigt auch Expertin Patrizia Hasler: «Man darf nicht unterschätzen, dass Jugendliche noch nicht über eine erwachsene Reife verfügen. Sie befinden sich mitten in der Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen und kennen die Gefüge und Regeln in der Berufswelt noch nicht. Sie sind sich nicht gewohnt, früh aufzustehen, körperlich anzupacken oder Aufträge selbstständig auszuführen. Deshalb benötigen sie vor allem am Anfang viel Unterstützung, Empathie und Zeit. Kein Lernender ist ein Selbstläufer.» Dem stimmt Emanuele De Caro zu: «Man sollte offen kommunizieren, welche Erwartungen man hat und welche Umgangsregeln im Betrieb gelten. Dabei muss man nicht immer der liebe Chef sein, der den Lernenden alles durchgehen lässt und ihnen das Leben bequemer macht. Sie müssen ja etwas lernen, also muss man auch etwas einfordern – aber nicht von oben herab, sondern auf eine konstruktive Art und Weise.»
Bei der Flüma Klima AG legt man Wert darauf, die fachliche, theoretische und soziale Komponente zu verknüpfen. «Wenn wir merken, dass es in der Schule nicht gut läuft, richten wir schon auch mal einen Lernzirkel ein, um sie zu unterstützen. Und wir achten darauf, dass wir sie auf der Baustelle nicht als Handlanger verheizen, sondern dass sie das, was sie in der Schule lernen, auch praktisch umsetzen können.» Der wichtigste Aspekt sei aber der soziale, betont De Caro: «Jeder Lernende ist eine individuelle Persönlichkeit mit einer Familie, einer Vorgeschichte, Problemen und Sorgen. Als Ausbildner ist es unsere Aufgabe, sie in ihrer Entwicklung zu begleiten und sie zu unterstützen, wenn es irgendwo Probleme gibt. Gemeinsam findet man immer eine Lösung.»
1911 gegründet, sind die Kuster Gärten aus Mühleberg seit über 100 Jahren der kompetente Partner für Gartenbau, Gartengestaltung und Gartenpflege in Bern und Umgebung. 2010 durch das heutige Inhaberpaar Simon und Martina Hugi übernommen, beschäftigt das Unternehmen 42 Mitarbeitende, davon acht Lernende.
Die Flüma Klima AG plant, installiert und wartet massgeschneiderte, innovative Lüftungs- und Klimatisierungslösungen für ihre Kundinnen und Kunden. 1982 gegründet, beschäftigt die Firma mit Sitz in Ebikon heute 45 Mitarbeitende, darunter drei Lernende.
Dr. Patrizia Hasler ist Rektorin der Technischen Berufsschule Zürich (TBZ). Sie studierte an der Universität Bern und erwarb 1989 das Lehrpatent für Sekundarschulen. 2011 erlangte sie den Master of Science in Berufsbildung am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung in Zollikofen. Ihre Dissertation verfasste sie an der Universität Stuttgart über Lehrvertragsauflösungen und unausgeschöpftes Potenzial im Schweizer Bauhauptgewerbe.