Im August 2017 erleidet José Di Felice einen lebensverändernden Schicksalsschlag. Wo manch einer aufgegeben hätte, kämpfte er sich zurück ins Leben. Auch dank der Unterstützung seiner Lebensgefährtin – und ganz viel Durchhaltewillen.
José Di Felice ist ein Lebemann. Er geniesst sein Leben, führt sein eigenes Geschäft, reist gerne, segelt, fährt Motorrad. Immer auf der Überholspur, am liebsten alles gleichzeitig. So zögert der 49-Jährige denn auch nur kurz, als ihn auf dem Rückweg aus den Italienferien ein Freund anruft und ihn einlädt, tags darauf mit dem Motorrad an einem zweitägigen Fahrtraining auf der Rennstrecke in Dijon teilzunehmen. Zu Hause flugs ein paar administrative Dinge in seinem Geschäft «La Peppina» geregelt, und los geht es.
Der erste Tag läuft gut, Di Felice hat die Strecke im Griff, auch wenn er abends zuvor im Hotel noch ein ungutes Bauchgefühl verspürt hatte, wie er seiner Partnerin Manuela noch am Telefon berichtet hatte. Auch am zweiten Renntag fühlt er sich gut, als er sich auf sein Motorrad schwingt, beflügelt auch durch den Überraschungsbesuch seiner Lebensgefährtin, die an diesem Morgen plötzlich neben ihm in der Boxengasse steht. Sie war mit dem Zug und dem Taxi angereist, hatte ihn überraschen wollen.
José Di Felice befindet sich bereits in der Auslaufrunde, zufrieden mit seiner Leistung und bereit, das Fahrtraining abzuschliessen. «Eigentlich hatte ich eine Runde zuvor schon aufhören wollen, aber ich wollte die Bremsen noch etwas auskühlen lassen», erinnert sich der passionierte Motorradfahrer. Und dann geschieht es: In der zweitletzten Kurve – eine Rechtskurve war es, er erinnert sich genau – rutscht plötzlich der Pneu unter ihm weg. Das Motorrad schlingert, überschlägt sich mehrmals, Di Felice fliegt durch die Luft, schlägt hart auf dem Boden auf, verliert das Visier seines Helms. Zuerst denkt er noch: «Uff, Schwein gehabt, nichts passiert», doch dann merkt er, dass er nicht aufstehen kann. Und weiss sofort: Es ist ernst.
Manuela Sala steht derweil in der Boxengasse und ahnt bereits, dass etwas passiert sein muss, er hätte längst zurück sein müssen. Und dann sieht sie das Motorrad, völlig zertrümmert. «In dem Moment dachte ich, er sei tot», erinnert sich die zierliche 38-Jährige. Völlig geschockt eilt sie ins Rettungszelt, wo die Sanitäter bereits mit der medizinischen Erstversorgung begonnen haben. «Schatz, du musst dich um die Bestellungen und die Anrufe kümmern, das Geschäft muss weiterlaufen», bittet José sie noch. Er kriegt kaum Luft, hat schwere Atemprobleme, hyperventiliert. Das alles geschieht am 2. August 2017. Jenem schicksalshaften Tag, der sich später als der zweite Geburtstag des Unternehmers herausstellen sollte.
Einige Zeit später findet sich José Di Felice auf der Intensivstation eines Spitals in Dijon wieder. Festgezurrt, damit er sich nicht bewegen kann. Er hat sich bei seinem Sturz das Genick gebrochen, muss deshalb stabilisiert werden. Wie schlimm es ist und ob er sich je wieder bewegen kann, kann ihm zu diesem Zeitpunkt noch keiner sagen. Manuela Sala ist bei ihm geblieben, wacht an seinem Krankenbett, informiert Familie und Angehörige und organisiert das Nötigste rund um das Geschäft. Unterstützt wird sie dabei vom Care Management der AXA Schweiz. Der verantwortliche Case Manager Giuseppe Giunta organisiert umgehend die Rückführung per Helikopter in die Schweiz; vier Tage später wird Di Felice mit der Rega direkt ins Paraplegikerzentrum Nottwil geflogen, wo weitere Untersuchungen durchgeführt werden.
«Die Unsicherheit am Anfang war das Schlimmste – nicht zu wissen, ob dieser Zustand dauerhaft sein würde oder nicht», erinnert sich José Di Felice. Ganz sicher war er sich hingegen sofort über eines: Das Geschäft musste weiterlaufen. Noch von der Intensivstation beordert er seine Vertriebsleute zu sich und instruiert sie über das weitere Vorgehen – an seinem Krankenbett. «Die Ärzte erklärten mich für komplett verrückt», lacht er heute. Die Geschäftsführung des Betriebs übernimmt ad interim Manuela, jeden Morgen telefonieren die beiden und gehen die Tagesplanung durch. Sie hat dafür ihren Job aufgegeben, übernimmt mit dieser Aufgabe eine grosse Verantwortung. Wie sie das alles geschafft hat, kann sie heute nicht mehr genau sagen. «Im ersten Moment funktionierst du einfach nur und machst, was getan werden muss», sagt Sala rückwirkend.
Während sie sich draussen um die Weiterführung seines Lebenswerks kümmert, kümmert er sich in Nottwil um seine Genesung. Die befürchtete Diagnose Tetraplegie bestätigt sich; die Verletzung des Rückenmarks ist so schwer, dass er von oberhalb der Brust ab Halswirbel C5 abwärts gelähmt bleiben wird. Der gelernte Kaufmann muss über neun Monate hinweg mühsam wieder lernen, zu atmen, zu sprechen, sein Schicksal anzunehmen. Er kämpft sich zurück, jeder Tag ist eine Herausforderung. «Natürlich gab es auch schlimme Tage, an denen ich nicht wusste, ob es sich lohnt, so weiterzuleben», sagt José Di Felice. Aber sein Wille ist grösser: «Ich habe immer daran geglaubt, dass ich es schaffen und mein Geschäft trotz der Einschränkungen weiterführen kann – eine Umschulung kam deshalb nie in Frage.»
«Sein unbändiger Wille, seine Lebensfreude und sein Optimismus haben ihm dabei geholfen, ins Leben und in den Arbeitsprozess zurückzukehren», sagt Case Manager Giuseppe Giunta. Er begleitet José
Di Felice und Manuela Sala seit dem ersten Tag und unterstützt die beiden, wo immer es geht: «Neben der medizinischen Betreuung müssen auch finanzielle und organisatorische Aspekte geklärt werden: Kann der Patient in seine Wohnung zurückkehren, benötigt er Unterstützung im Haushalt, welche Kosten werden von welcher Institution übernommen? Etc.» Mit solchen Fragestellungen seien viele Betroffene anfangs überfordert und deshalb dankbar, wenn sich eine externe Fachperson darum kümmert, erklärt der Case Manager, der bereits auf mehr als
30 Jahre Berufserfahrung zurückblickt. Und auch Manuela Sala erinnert sich: «Auf eine solche Notsituation bereitet man sich ja nicht vor, da fühlt man sich zu Beginn schon sehr auf sich allein gestellt und ist froh um jede Hilfe. Giuseppe stand uns vom ersten Tag an zur Seite und war uns eine wichtige Stütze, wir konnten ihn Tag und Nacht anrufen, wenn wir nicht weiterwussten.»
Giunta war es denn auch, der dem Verunfallten zu einem grossen Stück Mobilität verhalf. Dank seiner Finanzierungszusage konnte der Kontakt zu Scewo hergestellt werden – einem Start-up aus Winterthur, das gemeinsam mit der ETH Zürich 2018 einen Rollstuhl entwickelte, der sogar Treppen überwinden kann. Im Juli 2020 durfte José Di Felice als einer der Ersten einen Prototyp des «Scewo Bro» sein Eigen nennen und testet das Gerät seither auf Herz und Nieren: «Das war einfach nur ein Gefühl von Freiheit. Endlich musste ich nicht mehr im Vorfeld auf Google prüfen, ob ich barrierefrei in ein Café komme – ich konnte sogar erstmals wieder nach Italien in die Ferien.»
Heute kann José Di Felice sich dank seines Rollstuhls relativ frei bewegen, seit einer umfassenden Operation mit seiner linken Hand sogar wieder greifen. «Natürlich ist mein Leben voller Einschränkungen, und es gibt leichtere Tage und schwierigere Tage. Trotzdem kann ich froh und dankbar sein, dass ich diesen Unfall überhaupt überlebt habe. Seither versuche ich, das Beste aus jeder Situation und aus meinem Leben rauszuholen.» Und auch wenn der Alltag für José Di Felice nicht immer einfach ist: Ein Lebemann ist der Unternehmer nach wie vor. Vielleicht etwas langsamer und nicht immer auf der Überholspur, aber mit vielen Plänen für die Zukunft.
La Peppina wurde 2009 gegründet und vertreibt Spezialitäten aus dem mediterranen Raum, vorwiegend aus Italien. Mit den auserlesenen, meist hausgemachten Produkten bedient La Peppina den spezialisierten Fachhandel wie Delikatessengeschäfte, Vinotheken und Hauswarengeschäfte. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Laupen BE und beschäftigt 12 Mitarbeitende.