Unser Leben spielt sich immer mehr im Netz ab. Ohne soziale Medien geht insbesondere bei jüngeren Kundinnen und Kunden heute gar nichts mehr. Doch muss wirklich jedes Start-up und jedes KMU auf diesen Zug aufspringen? Und wenn ja, wie geht Social-Media-Marketing möglichst günstig? Drei Unternehmen berichten von ihren Erfahrungen.
«Social Media? Damit habe ich absolut gar nichts am Hut.» Diesen Satz hört Fathima Ifthikar oft. Die 35-Jährige unterrichtet neben ihrer Tätigkeit als Head of Social Media bei der AXA zusätzlich an der Universität Luzern und an der Migros Klubschule Zürich und unterstützt Unternehmen bei der Entfaltung ihres Potenzials in den sozialen Medien. «Die Bewirtschaftung der Social-Media-Kanäle kommt bei vielen KMU oft zu kurz, weil sie im Gegensatz zu grossen Konzernen nicht über die nötigen Ressourcen verfügen, um das Thema umfassend abzudecken. Bei vielen Unternehmen ist deshalb nach Erstellung einer Firmenhomepage Schluss», erklärt Ifthikar.
Dies zeigen auch die Zahlen der Fachhochschule Graubünden: Gemäss einem im Oktober 2020 erschienenen Forschungsbericht ist nur knapp ein Drittel der Schweizer KMU auf sozialen Netzwerken vertreten, wobei Facebook mit 29,3 Prozent, Instagram mit 16,1 Prozent und LinkedIn mit 12,4 Prozent die dominierenden Plattformen sind.
Aber: Die Nutzung von Social Media wird auch für Start-ups und KMU immer relevanter, denn der Anteil der Schweizer Bevölkerung, der auf Plattformen wie Facebook, Twitter und Instagram aktiv ist, nimmt laufend zu. «Als Firma muss man dort sein, wo die eigene Kundschaft ist. Und da heutzutage 90 Prozent aller Menschen fast alles über ihr Handy erledigen, müssen auch Start-ups und KMU im Netz vertreten sein, wenn sie dort gefunden werden wollen», sagt die SOM-Expertin.
Das kann auch Tony Mola, Gründer und Inhaber der Black Frame Studios in Zürich, bestätigen. Der gelernte Grafikdesigner und Art Director hat seine Content-Creation-Agentur vor acht Jahren gegründet und entwickelt mit seinen sechs Mitarbeitenden digitale Inhalte wie Fotografie, Videoproduktionen und Storytelling-Kampagnen für Unternehmen und Events. Das Bespielen sozialer Netzwerke gehört zum Kerngeschäft der Agentur, und davon profitieren nicht nur Grossunternehmen – mittlerweile zählen auch viele KMU zu seinem Kundenstamm.
Der 34-Jährige weiss: Die sozialen Medien bieten auch kleinen und mittelgrossen Unternehmen vielfältige Anwendungsmöglichkeiten und Mehrwertpotenziale. «Social-Media-Kanäle sind ein gutes Mittel, um die Bekanntheit eines Unternehmens zu steigern. Denn: Kennt dich niemand, kauft dich niemand. Das gilt für die Luxusuhrenmarke genauso wie für den Poolreiniger und die Pizzeria.»
Dabei stehe nicht das Verkaufen an sich im Vordergrund, sondern der Aufbau einer Beziehung zu bestehenden und vor allem auch neuen Kunden. «Wie heisst es so schön: The users of today are the buyers of tomorrow», so der gebürtige Italiener. Mit einem Firmenaccount auf TikTok werde Lamborghini heute zwar kein Auto an die überwiegend minderjährige Zielgruppe verkaufen. Aber das Unternehmen könne Fans gewinnen, die sich heute mit der Marke identifizieren – und vielleicht in zwanzig Jahren einen Lamborghini kaufen.
Black Frame wurde 2015 vom gelernten Grafikdesigner und Art Director Tony Mola gegründet. Unter dem Motto «Mir chönnd alles, ussert zaubere» produziert die Content-Agentur Inhalte wie Videos, Fotografie und Storytelling für grosse Unternehmen, KMU oder Veranstaltungen wie Festivals oder Corporate Events – online und offline. Die Firma mit Sitz in Zürich beschäftigt heute sechs Mitarbeitende und hat unter anderem schon Kampagnen für Coop, Swiss Ski, Lamborghini oder die Street Parade kreiert.
Das sieht SOM-Expertin Fathima Ifthikar genauso: «Durch einen Auftritt in den sozialen Netzwerken erhöht man nicht nur die eigene Auffindbarkeit im Netz, sondern verleiht seinem Unternehmen ein Gesicht und lässt das Publikum hinter die Kulissen blicken. Das macht eine Firma sympathisch und nahbar – und stärkt damit die Marke.»
Black Frame produziert aber nicht nur Content für die Kundinnen und Kunden, sondern ist auch selbst sehr aktiv auf Social Media: «Wir bespielen sämtliche gängigen Kanäle, unser Fokus liegt aber klar auf Instagram. Hier pflegen wir den Austausch mit unserer Community, sprechen potenzielle Kunden und Talente an und präsentieren unsere Projekte. Instagram ist für uns mittlerweile sogar wichtiger als unsere Website, weil die Plattform schneller, übersichtlicher und intuitiver ist.»
Facebook hingegen bewirtschaftet Black Frame nicht mehr aktiv, hier lohne sich das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht. LinkedIn habe aber stark an Bedeutung gewonnen, sagt Mola: «Auf LinkedIn tummeln sich die Entscheidungsträger. Wir nutzen diesen Kanal, um unsere Firma und unsere Arbeit bestmöglich zu positionieren.»
Generell könne man einen Post nicht einfach für alle Plattformen verwenden, sondern müsse Inhalte auf jeden Kanal adaptieren, da Zielgruppe und Sprache der Plattform auf Instagram, TikTok oder LinkedIn komplett anders seien, so Mola. «Das bedeutet im Umkehrschluss, dass man die verschiedenen Social-Media-Kanäle zuerst analysieren und verstehen muss, bevor man sie aktiv bewirtschaftet», sagt der Unternehmer.
Dieser Meinung ist auch Fathima Ifthikar: «In einem ersten Schritt sollte man sich immer überlegen: Welches ist meine Zielgruppe, und auf welchen Kanälen ist sie präsent?» Auf TikTok und Snapchat sind vor allem junge Leute unterwegs; die Hauptzielgruppe von Instagram beginnt ab 21 Jahren, und auf Facebook bewegen sich insbesondere Leute über 35 bis hin zu den Golden Agers über 65.
«Überlegen Sie sich deshalb im Vorfeld, was Sie mit Social Media erreichen möchten, lernen Sie die einzelnen Plattformen kennen, analysieren Sie Ihre Mitbewerbenden.» Es brauche kein zehnseitiges Strategiepapier, um eine Social-Media-Strategie aufzubauen, aber es sei sinnvoll, sich einige Gedanken zu machen, bevor man starte: «Social Media braucht Zeit, Ressourcen und Budget, das darf man nicht unterschätzen. Deshalb lieber zu Beginn ein bis zwei Kanäle sorgfältig bewirtschaften als viele nur halbbatzig.»
Über die Anfänge im Social-Media-Marketing ist Severin Candrian mit seiner feey AG längst hinaus. Der gebürtige Engadiner gründete seinen Onlineshop für Zimmerpflanzen gemeinsam mit Sven und Janko Jakelj sowie Gabi Troxler 2019 mit dem Ziel, eine grüne Oase im eigenen Zuhause für alle Interessierten – oder wie feey es nennt: für alle Daumenfarben – erlebbar zu machen.
Aus diesem Grund wird bei feey viel Wert aufs Detail gelegt: «Wir sind kein Grosshandel, der seine Ware einfach bestellt und verschickt, wir topfen die Pflanzen in unsere eigene Spezialerde um, behandeln sie gegen Schädlinge und pflegen sie sorgfältig, bevor sie mit einer umfassenden Gebrauchsanweisung und einer persönlichen Botschaft an die Empfänger verschickt werden.» Alles handgemacht, alles in liebevoller Kleinarbeit.
Die feey AG setzt beim Kundenerlebnis auf die persönliche Note, beim Marketing hingegen vollumfänglich auf digitale Kanäle. «Gerade für ein junges Start-up ist es einfacher, mit Social-Media-Marketing zu starten. Der Aufwand für die Schaltung eines Beitrags ist gering, und du merkst sofort, was funktioniert und was nicht. Plakatwerbung hingegen ist aufwendig und teuer, und man kann die Wirkung nicht messen», erklärt Candrian die Vorteile.
«Pflanzen? Finde ich cool, aber bei mir sterben immer alle»: Dass diese Aussage der Vergangenheit angehört, dafür sorgen Sven Jakelj, Severin Candrian, Gabi Troxler und Janko Jakelj mit feey, ihrem Onlineshop für Zimmerpflanzen. Und das Konzept überzeugt: 2021 ergatterte das Start-up in der Schweizer Version von «Höhle der Löwen» einen Millionendeal, einige Monate später folgte die Auszeichnung zum Digital Champion 2022. Das 2019 gegründete Unternehmen beschäftigt heute 18 Mitarbeitende und hat seine Homebase in Flawil SG.
Von den Vorteilen von Social-Media-Marketing profitieren kann aber nur, wer auch den richtigen Inhalt produziert. Wie können Start-ups und KMU den passenden Content effizient erstellen? Unternehmerinnen und Unternehmer teilen ihre Tipps und Erfahrungen.
Auch feey arbeitet nach dem Top-down-Prinzip. «Wir recherchieren zuerst, was in Sachen Zimmerpflanzen auf Google gesucht wird, und erstellen dazu ein grösseres Video, das sich für YouTube oder einen Blogbeitrag eignet. Teile davon, sogenannte Snippets, verwenden wir für TikTok und Instagram», erklärt der Design Lead von feey. Gepostet wird täglich, auf Instagram und TikTok sogar mehrmals. «Ausser samstags, Samstag ist Ruhetag», lacht der sympathische Bündner.
Die Inhalte für Instagram erstellt er selbst, für die Bespielung von TikTok hat das Start-up eigens eine Content-Managerin angestellt. «Wir glauben daran, dass TikTok die nächste grosse Plattform ist, deshalb ist es uns wichtig, dort sehr präsent zu sein.»
Der Pflanzenshop setzt stark auf organischen Content, also nicht-bezahlte Inhalte: «Wir wollen via Social Media nicht in erster Linie Produkte verkaufen, sondern uns als Experten für Pflanzen positionieren.» Candrian rät anderen Start-ups und KMU, dem Thema Social Media offen gegenüberzutreten und es einfach mal auszuprobieren: «Social-Media-Kanäle ermöglichen es einem Unternehmen, sich direkt mit seiner Community auszutauschen, in einen Dialog zu treten und ihre Meinung abzuholen. Darüber hinaus kann man mit authentischen und persönlichen Beiträgen die Menschen und Geschichten hinter den Kulissen zeigen und damit den eigenen Brand stärken – wer dir auf Instagram folgt, wird dich auch im echten Leben gegenüber der Konkurrenz bevorzugen.»
Ein Punkt, der gemäss Fathima Ifthikar nicht unterschätzt werden darf: «Es ist doch so: Wenn ich ein Hotel oder eine Dienstleistung suche, recherchiere ich zuerst im Netz dazu. Und wähle meistens die Anbieterin bzw. den Anbieter oder das Hotel, dessen Auftritt im Internet und in den sozialen Medien mir besser gefällt und professioneller gestaltet ist.» Es lohnt sich deshalb auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht, entsprechende Ressourcen zu investieren.
Dazu müsse man nicht zwingend eine externe Agentur beauftragen, sondern könne zum Beispiel jüngere oder digitalaffine Mitarbeitende ins Boot holen, die sich auch im Privatleben in den sozialen Netzwerken bewegen. «Nutzen Sie das Know-how aus den eigenen Reihen, zapfen Sie das Wissen Ihrer Mitarbeitenden an.»
Auf digitalaffine Mitarbeitende setzt auch Simon Ragaz. Der gelernte Koch, der seit 2009 mit seiner Firma Ragaz Catering unterwegs ist, betreibt zwei Business-Accounts – den einen mit Ragaz Catering, den zweiten mit dem hauseigenen Eventlokal «Stufenbau».
Ragaz ist überzeugt, dass Social Media als Kommunikationskanal gerade in seiner Branche immer wichtiger wird: «Als Cateringfirma und Organisatorin von privaten Events oder geschäftlichen Anlässen ist das unser einziger Weg, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren und wahrgenommen zu werden.» Deshalb postet Ragaz bereits seit Jahren regelmässig Beiträge auf Facebook oder Instagram. Gewählt hat er diese beiden Kanäle, da sich seine Zielgruppen dort befinden – und weil er selbst dort aktiv ist, erklärt er lachend.
Doch auch bei ihm poppte schnell das Thema Kapazitätsengpass auf: «Da ich mich weitgehend selbst um die Bewirtschaftung der Kanäle kümmerte, fehlten mir dauernd die Ressourcen, um das Thema wirklich konsequent zu verfolgen. Zwar hatte ich einen hübschen Redaktionsplan erstellt, der ging aber schnell in einer Schublade vergessen. Zudem: Immer dann, wenn ich Zeit hatte, um mir relevante Beiträge zu überlegen, sass ich am Bürotisch und hatte keine entsprechenden Inhalte dazu. Und hätte ich vor Ort Bilder von aktuellen Events posten können, kam mir das hektische Tagesgeschäft dazwischen. So konnte es nicht weitergehen.»
Der Unternehmer hat reagiert und stellt nun eine Freelancerin auf Stundenbasis ein, zunächst einmal versuchsweise. «Sie wird uns dabei unterstützen, unseren SOM-Auftritt zu professionalisieren, und dabei hoffentlich einen frischen, jungen Wind und eine Aussenperspektive hineinbringen.»
Der neue Auftritt soll denn auch vorausschauend geplant und insbesondere gründlich analysiert werden, um festzustellen, was funktioniert und was nicht. Wenn möglich, will Ragaz künftig auch ein kleines Marketingbudget dafür reservieren. Denn: «Bisher habe ich kaum Beiträge gesponsert oder im Nachgang ausgewertet. Das soll sich künftig ändern, um das Budget noch gezielter einsetzen zu können und weniger Streuverlust zu generieren», erklärt Simon Ragaz.
Von der kleinen privaten Feier bis zum Firmenevent mit 3000 Gästen – das achtköpfige Team von Ragaz Catering mit seinen Küchen- und Eventexperten geht gerne auf individuelle Wünsche ein und bietet vom Lieferservice bis zum Rundumsorglos-Paket die gesamte Eventorganisation. Das 2009 gegründete Unternehmen ist spezialisiert auf Events in Off-Locations, bietet aber auch Anlässe im eigenen Eventlokal «Stufenbau» an und besitzt darüber hinaus den mit 100 Metern längsten Holzkohlegrill der Schweiz.
Angehenden Social-Media-Nutzern rät der Unternehmer, klein anzufangen: «Wer sich von Beginn an zu grosse Ziele steckt, wird nur frustriert, wenn er sie nicht erreichen kann.» Simon Ragaz ist überzeugt, dass die sozialen Medien vielen Start-ups und KMU einen Mehrwert bringen können. Trotzdem müsse nicht jeder Zahnarzt Bilder von seiner Arbeit hochladen: «Es gibt durchaus Unternehmen, die auch ohne Social Media erfolgreich sind. Und wer nicht erfolgreich ist, der wird es auch nicht plötzlich werden, nur weil er einen Facebook-Account hat.» Wo er recht hat, hat er recht.
Damit Sie noch leichter eine Entscheidung fällen können, ob und vor allem wo sich Social-Media-Marketing für Sie lohnt, gibt es hier noch mal die wichtigsten Punkte für Sie auf einen Blick: