Behandlungsfehler von Ärztinnen und Ärzten können für die Betroffenen gravierende Folgen haben. Doch was kann man tun, um sich zu wehren? Franziska Venghaus-Eisterer, Rechtsexpertin bei der AXA-ARAG, klärt auf.
Ein Behandlungsfehler kann tragische Folgen für die Betroffenen haben. Welche Rechte hat man als Patientin oder Patient in der Schweiz?
Ärztinnen und Ärzte haben die Pflicht, ihre Behandlung sorgfältig und «lege artis», das heisst nach der aktuellen medizinischen Kunst und der anerkannten Wissenschaft durchzuführen. Dies bedingt aber lediglich ein sorgfältiges Vorgehen. Ein Behandlungserfolg ist nicht geschuldet. Jeder medizinische Eingriff ist mit gesundheitlichen Risiken verbunden. Deshalb müssen Patientinnen und Patienten vor dem Eingriff über die wesentlichen und bekannten Risiken, die Art und Weise der Behandlung sowie die Verhaltens- und Vorsichtsmassnahmen informiert werden, damit sie ihre Zustimmung zum Eingriff erteilen können. Werden sie nicht aufgeklärt, ist der medizinische Eingriff widerrechtlich und Ärztinnen und Ärzte können strafrechtlich belangt werden. Nicht jeder misslungene Eingriff oder jede Komplikation ist ein Behandlungsfehler. Erst wenn es sich um eine beweisbare ärztliche Sorgfaltspflichtverletzung handelt, sind auch rechtliche Schritte möglich.
Wie sollten Betroffene in solch einem Fall vorgehen?
In einem ersten Schritt sollte der medizinische Sachverhalt anhand der Patientenakte abgeklärt und eine medizinische Zweitmeinung durch einen Facharzt oder eine Fachärztin der gleichen medizinischen Richtung oder eine Beurteilung einer unabhängigen und neutralen Stelle eingeholt werden. Wir empfehlen hierfür die Schweizerische Patientenschutzorganisation SPO oder die FMH-Gutachterstelle für FMH-Ärztinnen und -Ärzte. Verfügt der Patient oder die Patientin über die nötige Versicherungsdeckung, übernimmt die Rechtsschutzversicherung die Abklärungen sowie die anfallenden Expertisekosten. Die AXA-ARAG verfügt zudem über ein Netzwerk an Fachärztinnen und -ärzten für Gutachten.
Welche Forderungen kann man stellen, wenn eine ärztliche Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt?
Ist die Sorgfaltspflichtverletzung beweisbar, so können Patientinnen und Patienten Schadenersatz und eine Genugtuung einfordern. Der Patient oder die Patientin muss den durch die Sorgfaltspflichtverletzung entstandenen Schaden, welcher nicht von Versicherungen ersetzt wurde, belegen. Dies sind etwa zusätzliche Behandlungs- und Pflegekosten, Betreuungskosten, Haushaltskosten sowie Lohnausfall.
Wo kann ich den Schaden geltend machen?
Alle Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz (ausgenommen Amtsärztinnen und -ärzte) sind gesetzlich verpflichtet, eine ausreichende Berufshaftpflichtversicherung abzuschliessen. Seit dem 01.01.2022 können geschädigte Patientinnen und Patienten ihren Schaden bei belegter Sorgfaltspflichtverletzung direkt bei der Berufshaftpflichtversicherung des Arztes oder der Ärztin geltend machen.
Wie stehen die Chancen, dass man als Patient oder Patientin seine Forderungen durchsetzen kann?
Die Chancen für eine rechtliche Durchsetzung der Ansprüche sind leider häufig relativ gering. Nach geltendem Recht ist es Aufgabe der Patientinnen und Patienten respektive ihrer Rechtsschutzversicherung oder ihrer Anwältinnen und Anwälte, die Sorgfaltspflichtverletzung und den Schaden zu beweisen. Die Beweisführung gestaltet sich aber oft sehr schwierig, sodass eine ärztliche Sorgfaltspflichtverletzung nur in wenigen Fällen ausreichend belegt werden kann. Es gibt aber immer wieder Fälle, die aussergerichtlich mit einem Vergleich und einer finanziellen Entschädigung zugunsten der Patientinnen und Patienten geregelt werden können.
«Viele Betroffene werden solche Fälle wohl mangels finanzieller Mittel, und weil es viel Ausdauer braucht, gar nicht weiterverfolgen, wenn sie nicht über eine Rechtsschutzversicherung verfügen, die ihnen diese Last abnimmt.»
Wieso ist es so schwierig, einen Behandlungsfehler geltend zu machen?
Ärztinnen und Ärzte verfügen über ein Behandlungsprivileg. Das heisst, sie dürfen entscheiden, welche Behandlung unter den gegebenen Umständen gemäss den anerkannten Regeln der Wissenschaft und der Technik am geeignetsten ist. Im konkreten Einzelfall gibt es einen grossen Graubereich, was den Begriff der ärztlichen Sorgfaltspflichtverletzung betrifft. Hinzu kommt, dass die medizinischen Akten, welche eine allfällige Sorgfaltspflichtverletzung beweisen könnten, beim Spital liegen, also bei der Gegenpartei, und die Behandlung in der Patientenakte oft mangelhaft dokumentiert ist. Man ist deshalb darauf angewiesen, Zweitmeinungen und fachärztliche Gutachten einzuholen.
Habe ich Anspruch auf die Herausgabe der Patientenakte?
Ärztinnen und Ärzte sind als Beauftragte verpflichtet, den Patientinnen und Patienten Rechenschaft über ihre Tätigkeit im Rahmen des Patientenverhältnisses abzulegen. Zudem müssen sie ihnen auf Verlangen die vorhandenen medizinischen Akten jederzeit kostenlos aushändigen. Ärztinnen und Ärzte dürfen aber für sich selbst Kopien zu Beweiszwecken anfertigen. Angefertigte und bezahlte Röntgenbilder müssen Ärztinnen und Ärzte ebenfalls auf Verlangen herausgeben.
Mit welchen Kosten muss man als Patient oder Patientin rechnen?
Zur Klärung des medizinischen und rechtlichen Sachverhalts ist ein medizinisches Gutachten eines Facharztes oder einer Fachärztin und eine rechtliche Beurteilung durch einen Anwalt oder eine Anwältin meist unerlässlich. Dabei können Kosten für diese Abklärungen über mehrere Tausend Franken entstehen. Gleichzeitig sind die Erfolgsaussichten aufgrund unklarer Beweislage häufig gering. Gerade deshalb ist in solchen Fällen eine Rechtsschutzversicherung mit einer Deckung für Patientenrechtsfälle von Vorteil, da sie die Kosten der medizinischen Abklärungen und – falls die Erfolgsaussichten intakt sind – auch die Kosten der anwaltlichen Vertretung gegenüber der Ärzteschaft oder dem Spital übernimmt.
Die vorgeschossenen Kosten und Aufwendungen erhält man nur dann zurück, wenn es tatsächlich zu einer Haftung der Ärzteschaft kommt. Arzthaftpflichtfälle werden jedoch in den meisten Fällen mittels eines Vergleichs, also nicht vor Gericht und ohne ausdrückliche Anerkennung einer Haftung, geregelt. Dann trägt jede Partei ihre Kosten selbst. Sofern Patientinnen und Patienten keine Rechtsschutzversicherung haben, müssen sie ihren Anteil der Abklärungs- und Anwaltskosten somit selbst tragen. Viele Betroffene werden daher solche Fälle wohl mangels finanzieller Mittel, und weil es viel Ausdauer braucht, gar nicht weiterverfolgen, wenn sie nicht über eine Rechtsschutzversicherung verfügen, die ihnen diese Last abnimmt.
«Nur schon die sorgfältige Aufarbeitung des medizinischen Sachverhalts ist sehr wichtig, um das Geschehen zu verarbeiten.»
Wie kann die Rechtsschutzversicherung in aussichtslosen Fällen trotzdem helfen?
Durch gezielte Intervention im Einzelfall können wir für Patientinnen und Patienten in vielen Fällen dennoch eine finanzielle Entschädigung erwirken. Ob ein Fall eine Chance hat, zeigt erst die medizinische und rechtliche Abklärung. Viele Patientinnen und Patienten sind dankbar, wenn wir das für sie übernehmen. Nur schon die sorgfältige Aufarbeitung des medizinischen Sachverhalts ist sehr wichtig, um das Geschehene zu verarbeiten. Dabei helfen auch die Gespräche mit uns oder mit der Schweizerischen Patientenorganisation SPO. Zudem haben die Betroffenen dadurch erst die Gelegenheit, ihre Rechte und Erfolgsaussichten abzuwägen. Vielen Patientinnen und Patienten hilft es, zu wissen, dass sie alles getan haben, was sie tun konnten. Dabei unterstützen wir sie, soweit wir können.